Persönliche Erklärung gemäß § 31 GO-BT von MdB Emmi Zeulner zur Verabschiedung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite

Ich werde heute dem Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite Drs.19/28444 zustimmen.
Dies jedoch mit Bedenken, die ich in dieser persönlichen Erklärung gemäß § 31 GO-BT darlegen möchte.

Ich sehe mich als Teil des Parlaments in der Verantwortung, gerade in dieser unruhigen und schwierigen Zeit, eine klare Entscheidung für bundeseinheitliche Mindestregelungen zum Umgang mit der Pandemie zu treffen. Wir als Parlamentarier haben schon seit Längerem gefordert, dass die Entscheidungsmacht im Parlament selbst liegen muss und nicht von der Bundesregierung und der Ministerpräsidentenkonferenz alleine getroffen werden darf. Zu dieser Verantwortung stehe ich und befürworte ausdrücklich, dass zu jeder weiteren Verordnung der Bundesregierung nach § 28 b Infektionsschutzgesetz (neu), die aktive Zustimmung des Deutschen Bundestages erforderlich ist. So schaffen wir die parlamentarische Legitimation für die notwendigen Maßnahmen. Ich verstehe, dass sich viele Menschen Erleichterungen wünschen und nach Normalität sehnen. Auch ich würde lieber über weitere Öffnungen abstimmen, als über einheitliche Schutzmaßnahmen. Doch die Zahl der Neuinfektionen steigt weiter täglich an und am heutigen Tag befinden sich fast 5.000 Menschen coronabedingt in intensivmedizinischer Behandlung. Das zeigt, dass wir in der Pandemiebekämpfung noch nicht nachlassen dürfen.
Ich, als gelernte Krankenschwester, höre auf der einen Seite die klaren Unterstützungsforderungen von Seiten der Intensivmediziner und Pflegekräfte, die für ein Durchhalten der Gesellschaft und strengere Maßnahmen in der Pandemie werben. Und auf der anderen Seite erkenne ich die Nöte der Menschen und Familien an, die nach so vielen Monaten „pandemiemüde“ sind und teilweise um Ihre Existenz bangen.
Verantwortung als direkt gewählte Bundestagsabgeordnete zu übernehmen heißt für mich auch, unangenehme Entscheidung zu treffen, wenn sie zum Wohle des Landes sind. Ich bin überzeugt, dass die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes nötig ist.
Die größte Veränderung ist mit Sicherheit, dass der Bund sein Recht im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Artikel 72, 74 Absatz 1 Nummer 19 Grundgesetz wahrnimmt und die Entscheidung an sich zieht, um klare Mindestregelungen ab einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen festzulegen. Ich bin ein großer Befürworter des Föderalismus, aber wir müssen hier auch ehrlich bleiben: in den letzten Wochen haben sich einige Länder nicht an die Umsetzung ihrer klaren Vereinbarungen zur Notbremse gehalten. Das hat zu Recht für viel Unmut in der Bevölkerung geführt. Die Menschen müssen sich sicher sein, dass beschlossene Regelungen auch umgesetzt werden. Das zwingt uns auf Bundesebene zum Handeln. Auch gerade, um die Akzeptanz für Maßnahmen in der Pandemiebekämpfung zu erhalten. Mit dem neuen Gesetz schaffen wir die Grundlage für ein Mindestmaß an Sicherheit im Sinne des Gesundheitsschutzes.
Auch die neu geschaffenen Erweiterungen im Außenbereich, wie zum Beispiel bei der Sportausübung von Kinder unter 14 Jahren in kleinen Gruppen, aber auch das Öffnen von zoologischen und botanischen Gärten mit einem durchdachten Test- und Schutzkonzept, sind zusätzliche Überlegungen, die einen klaren Fokus auf mehr Aktivität im Außenbereich legen und gerade auch Erleichterungen für Familien schaffen werden.
Die Einigung bei den Schulen bezüglich der Öffnung auf den Inzidenzwert von 165 zeigt den klaren Willen, dass Schulen im Sinne unserer Kinder so lange wie möglich geöffnet bleiben sollen.

Diese Überlegungen lassen mich dem Gesetz zustimmen.

Dennoch bleiben bei mir Bedenken, die leider keinen Einzug mehr in die Gesetzesänderung genommen haben.
Allem voran bleiben für mich die Regelungen zum Einzelhandel und den Selbstständigen hinter den zu Recht gesetzten Hoffnungen zurück. Die Menschen in diesen Bereichen haben in den letzten Monaten bewiesen, dass sie gute Schutz- und Hygienekonzepte auf die Beine stellen können. Gerade auch die Kosmetikerinnen, bei denen hohe Hygienemaßnahmen der Standard sind und die mit viel Organisation und persönlichem Einsatz alle Vorgaben erfüllt haben, hätten meiner Ansicht nach, im Rahmen des Ermessens, mit in die Öffnungsausnahmen einbezogen werden müssen. Auch unsere Einzelhändler, sei es das Schuh- oder auch das Sportfachgeschäft, haben mit viel Einsatz gezeigt, dass sie ein durchdachtes Schutzkonzept liefern können.
Auch wenn wir hier in den Verhandlungen erreichen konnten, dass bis zur einer Inzidenz von 150 die Möglichkeit von click&meet bestehen bleibt und die Option von click&collect auch darüber hinaus erhalten bleibt, hätte ich mir hier noch weitere Erleichterungen gewünscht und vorstellen können.

Ein weiterer Punkt, den ich sehr kritisch sehe, ist das Heranziehen der 7-Tage-Inzidenz von 100 als alleiniges Kriterium für weitere Verschärfungen. Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten in den Diskussionen um das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz im Bereich des § 28 a Absatz 3 Infektionsschutzgesetz so für die Aufnahme weiterer Kriterien wie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder auch die Ausbreitung der Virusvarianten eingesetzt, um zu zeigen, dass wir eine umfassende Beurteilung der Gesamtlage als Grundlage heranziehen. Diesen Schritt habe ich sehr begrüßt. Denn neben den verfassungsrechtlichen Bedenken, die ein solcher Bezug mit sich bringt, hat die breitere Entscheidungsbasis für deutlich mehr Akzeptanz, Verständnis und Vertrauen in die politischen Entscheidungen innerhalb der Bevölkerung gesorgt. Dieses Vertrauen ist meiner Ansicht nach eines unserer höchsten Güter – gerade in dieser Zeit. Es nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen und es zu erhalten oder es im besten Fall zu bestärken, sehe ich als tägliche Aufgabe als Parlamentarierin an. Meines Erachtens fallen wir nun leider mit der Regelung ein Stück weit zurück. Dennoch sehe ich die Anknüpfung an den Inzidenzwert weiterhin als einen geeigneten Mechanismus an, um die getroffenen Maßnahmen rechtzeitig und zielgenau wirken lassen zu können. Darüber hinaus haben die vergangenen Monate gezeigt, dass zwischen der 7-Tage-Inzidenz und anderen für die Beurteilung des Pandemiegeschehens relevanten Faktoren ein Zusammenhang besteht, so dass der Inzidenzwert auch andere Faktoren umfasst.

Auch die Regelungen zu den Ausgangsbeschränkungen konnten wir im parlamentarischen Verfahren nachbessern. Die vorherige strikte Ausgangsbeschränkung ab 21.00 Uhr konnte in das Hamburger Modell abgeändert werden, so dass die Ausgangsbeschränkung allgemein ab 22.00 Uhr gilt und für Einzelpersonen ab 24.00 Uhr. Das sind auch die normalen Ruhezeiten. Wobei ich mir des massiven Eingriffs in die Grundrechte bewusst bin und das Ziel weiter sein muss, solche gravierenden Eingriffe schnellstmöglich wieder aufzuheben.
Wie bei allen Eingriffsmaßnahmen muss auch hier der Fokus darauf liegen, mildere Mittel in die Diskussion miteinzubeziehen und wenn möglich umzusetzen.

Bezüglich der veränderten Situation für geimpfte Menschen – besonders auch im Bereich von Gemeinschaftseinrichtungen, wie Pflegeheimen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe – muss sofort begonnen werden, über Erleichterungen in den Einrichtungen zu sprechen, weil mit dem vollen Impfschutz der Bewohner die einschlägigen Argumente für die Grundrechtseinschränkungen größtenteils entfallen sind.

f-2021 04 21 Persönliche Erklärung MdB Zeulner 4 BevSchG

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