Resolution zur Reform der Physiotherapie

„Evolution statt Revolution: kompetenzorientiert und zukunftsfähig die Versorgung im Blick“

 

Wir befürworten und unterstützen ausdrücklich die gesetzliche Neugestaltung sowie pädagogisch-didaktische und inhaltliche Reformierung der Berufe in der Physiotherapie.

Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, einer zunehmenden Multimorbidität und immer komplexer werdender Versorgungsstrukturen stehen wir für eine zukunfts- und bedarfsorientierte Reform, die sowohl die Berufsbilder in der Physiotherapie reformiert, attraktiver macht und folglich eine flächendeckende Patientenversorgung gewährleistet.

Wir fangen hierbei nicht bei null an, sondern können auf gute bestehende Strukturen zurückgreifen, die sich bewährt haben und die mit in die Reform einbezogen werden müssen. Wir brauchen somit eine Evolution und keine grundlegende Revolution des Systems. Eine Evolution, die kompetenzorientiert und zukunftsfähig die flächendeckende Versorgung im Blick hat.

 

Daher fordern wir:

  1. Keine Vollakademisierung einführen: Ausbildung und Versorgung in der Fläche erhalten!

Eine Vollakademisierung der Physiotherapeutenausbildung in dem Sinne, dass der originäre Beruf des/der Physiotherapeuten/in alleine über die hochschulische und nicht mehr über die berufsfachschulische Ausbildung erlernt werden kann, lehnen wir gänzlich ab.

Wir haben schon jetzt einen massiven Fachkräftemangel in der Physiotherapie – mindestens 12.060 Stellen sind derzeit nicht besetzt. Mit einer Vollakademisierung und der Voraussetzung des Abiturs für diesen Zugang, verwehren wir nach jetzigem Stand fast 60% der derzeitigen Auszubildenden den Zugang bzw. erschweren ihn gezielt. Das schafft konzentriert einen weiteren Mangel anstatt diesen zu bekämpfen. Wir brauchen ein positives Signal an untere und mittlere Schulabschlüsse, durch ein vielfältiges Ausbildungsangebot auch in medizin-therapeutischen Berufen.

Auch die Berufsbildungsmöglichkeiten blinder, sehbehinderter oder hörgeschädigter Menschen müssen hier zwingend mitgedacht werden, da die Physiotherapie diesen Menschen bislang vielfältige gesellschaftlich anerkannte Perspektiven am Arbeitsmarkt bietet. Anders als in allen anderen Berufen liegt die Vermittlungsquote bei nahezu 100 Prozent. Der Zugang muss möglich sein und die Ausbildung durchlässig gestaltet werden.

Eine Vollakademisierung würde darüber hinaus bewusst die fachschulischen Strukturen und die langfristige Versorgung in der Fläche schwächen bzw. aussterben lassen. Wir brauchen ein Miteinander der Fach- und Hochschulen und kein gegeneinander Ausspielen.

Eine Reform muss immer die flächendeckende Versorgung der Patientinnen und Patienten im Blick haben. Hierbei zeigen Studien, dass dort wo Ausbildung stattfindet, der Fachkräftemangel geringer ist, weil die Menschen sich dort auch oftmals niederlassen. Doch durch eine Vollakademisierung wird diese Flächendeckung gezielt geschwächt, indem die Ausbildung nur an den Hochschulen und nicht mehr in der Fläche an den Berufsfachschulen stattfinden würde.

 

  1. Bildungskorridor offenhalten: Berufe mit niederschwelligem Zugang erhalten und reformieren!

Der Bildungskorridor muss offen gehalten werden und es dürfen keine zusätzlichen Hürden geschaffen werden, die faktisch ganze Gruppen von dem Berufsbild der Physiotherapie ausschließen. Daher muss das Berufsbild des Masseurs und medizinischen Bademeisters erhalten bleiben und der Zugang zu dieser Ausbildung auch weiterhin mit einem Haupt-/Mittelschulabschluss möglich sein. Diese Ausbildung ist grundlegend zu reformieren und separat auf berufsfachschulischer Ebene als eine zweijährige Ausbildung zu etablieren (DQR 4).

Dessen erfolgreicher Abschluss sollte als Zugangsberechtigung zur berufsfachschulischen Ausbildung zum Physiotherapeuten/in dienen, um im Sinne des Grundsatzes „Kein Abschluss ohne Anschluss“ die Karrierechancen aufzuzeigen (vertikale Durchstiegsmöglichkeiten) und Fluktuationstendenzen gezielt entgegenzuwirken.

 

  1. Attraktivität steigern: neuen „Bachelor Professional“ an Fachschulen anbieten!

Um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden, wird für Schüler/innen mit mindestens der mittleren Reife an den Berufsfachschulen die Ausbildung zum/zur Physiotherapeuten/in kompetenzorientiert weiterentwickelt und wie bisher über eine dreijährige Ausbildung abgeschlossen. Durch die Reform der Ausbildung und dadurch entstehende Kompetenzerweiterungen läge der Abschluss auf dem DQR Niveau 5.

Im Sinne der Durchlässigkeit des Berufsbildes und Attraktivität sollte von den Ländern geprüft werden, einen Abschluss „Bachelor Professional“ mit DQR Niveau 6 einzuführen, der im Anschluss an die dreijährige Ausbildung absolviert werden kann. Nach dem Prinzip „Kein Abschluss ohne Anschluss“ könnte damit interessierten Fachkräften ein Masterstudium an einer Hochschule ermöglicht werden.

Dabei sollten bestehende Strukturen in der Fläche für eine zukunftsfähige Versorgung  unmittelbar eingesetzt und somit langwierige und kostenintensive Transformationsprozesse überflüssig werden.

 

  1. Akademische Ausbildung stärken: Modellvorhaben endlich in die Regel überführen!

Die Komplexität bei der Patientenversorgung nimmt zu, die Arbeitsteilung befindet sich im Wandel und die interprofessionelle Zusammenarbeit gewinnt immer mehr an Bedeutung. Daher ist eine Teilakademisierung, wie vom Wissenschaftsrat befürwortet, mit einer Quote von mindestens 10-20% Akademisierung des Berufsstands Physiotherapeut/in umzusetzen (DQR Niveau 6-8). Hierfür sind die im Rahmen der Modellstudiengänge aufgebauten Strukturen zu nutzen und vollumfänglich in primärqualifzierende Studiengänge zu überführen. Darüber hinaus kann eine Ansiedelung und Implementierung von Exzellenzuniversitätsstandorten nach territorialem Verteilungsmuster für Spitzenforschung in die Überlegungen einbezogen werden.

 

  1. Zertifikatssystem zukunftsfähig ausgestalten: Zertifikatspositionen abschaffen und Inhalte in die Ausbildung integrieren!

Es ist nicht vermittelbar, dass junge Menschen nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung, zunächst nochmal mehrere tausend Euro in die Hand nehmen müssen, um Zertifikate zu erlangen, die zur Abrechnung mit der Krankenkasse berechtigen. Dieses Zertifikatssystem ist veraltet und trägt nicht zur Attraktivität des Berufsbildes bei. Deutlich wichtiger als das Erlangen der Zertifikatspositionen ist der Erwerb der damit verbundenen Fähigkeiten auf Grundlage einer handlungskompetenzorientierten Ausrichtung.  Die Zertifikatsinhalte sind künftig zu großen Teilen in die Ausbildungen zu integrieren.

 

  1. Berufsbild attraktiv halten: Schulgeldfreiheit und Ausbildungsvergütung umsetzen!

Um das Berufsbild gerade auch für junge Menschen attraktiv zu halten, müssen die Aspekte der Schulgeldfreiheit und der Ausbildungsvergütung mitgedacht und umgesetzt werden. Um einen Flickenteppich zu vermeiden, sollten hier bundeseinheitliche Regelungen geschaffen werden.

 

 

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