Substitutionstherapie – eine der wichtigsten Säulen der Drogen- und Suchtpolitik

Substitutionstherapie
Eine der wichtigsten Säulen der Drogen- und Suchtpolitik
Von Emmi Zeulner MdB
 
Über Erwartungen und Herausforderungen:
Erstens: Prävention – das heißt: handeln, bevor die Sucht entsteht.
Zweitens: Beratung, Behandlung und Rehabilitation – das heißt: individuelle und ganzheitliche Hilfe.
Drittens: Schadensminimierung – das heißt: das Überleben sichern.
Viertens: Repression und Marktregulierung – das heißt: das Durchsetzen gesetzlicher Schutzmaßnahmen bezüglich legaler und illegaler Drogen.
Das sind die vier Säulen unserer Drogen- und Suchtpolitik.
Einer Politik, die international hohes Ansehen genießt und die vom UN-Suchtkontrollrat in seinem letzten Jahresbericht explizit positiv hervorgehoben wurde. Einer Drogen- und Suchtpolitik, die mit den genannten Säulen ein ganzheitliches Konzept schafft, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, von der Prävention, über die Substitution bis hin zur Repression.
Als Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Themenbereich „Drogen und Sucht“, sehe ich neben der guten und bewährten Basis dieses Systems aber auch Handlungsbedarf. Zwar handelt es sich bei dem Betäubungsmittelrecht zum größten Teil um ein Verordnungsrecht, das heißt, die Gestaltungsmacht liegt bei der Bundesregierung selbst und nicht primär bei uns Parlamentariern. Dennoch können wir uns aktiv für Veränderungen in diesem Bereich einsetzen und Leitlinien vorgeben. Und dies tun wir auch.
Denn wir stehen in der politischen Verantwortung. Diese nehme ich sehr ernst, und mir ist gerade auch die bedarfsgerechte und patientenorientierte Anpassung der Substitutionstherapie ein zentrales Anliegen.
Die Substitution ist eine der wichtigsten Säulen unseres Suchthilfesystems für opiatabhängige Menschen. Wenn die erste Säule nicht gefruchtet hat und die Sucht bereits entstanden ist, so müssen wir dem Patienten, der Hilfe sucht, ein Netz bieten, das ihn auffängt und einen Weg aus der Sucht weist.
Die Substitutionstherapie unterstützt derzeit rund 75.400 opiatabhängige Patienten dabei, sich zunächst sozial und gesundheitlich zu stabilisieren, um ihnen dann langfristig wieder eine Teilnahme an einem geregelten und stabilen Leben zu ermöglichen.
Neue Herausforderungen
Es gilt hier, neben den wichtigen bereits gesetzten Standards, sich den immer neuen Herausforderungen zu stellen und die Therapie zum Wohle der Patienten stetig zu verbessern.
Vor diesem Hintergrund freut es mich besonders, dass wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unserer Verantwortung nachkommen und in diesem Jahr der Bundesregierung einen neuen und angepassten Handlungsleitfaden zu Änderungen im Substitutionsrecht vorgelegt haben. Oberstes Ziel aller Bestrebungen ist es, für alle an der Therapie Beteiligten die Behandlung zu verbessern, zu erleichtern und keine unnötigen Hürden aufrechtzuerhalten.
Drei der größten Herausforderungen im Rahmen der Substitutionstherapie sind:
1. die teilweise schlechte Versorgungsstruktur im ländlichen Raum,
2. die immer älter werdenden Patienten und
3. die zum Teil nicht alltagstaugliche Therapie. Um die Therapie weiter bedarfsgerecht anpassen zu können, müssen wir an mehreren Stellen Veränderungen vornehmen.
Die drei zentralen Ziele unserer Anstrengungen sind dabei stets: die bessere Versorgung, die Entlastung der Patienten, um ihnen ein geregeltes und stabiles Leben zu ermöglichen, und die Praxistauglichkeit der Substitutionstherapie für die Beteiligten insgesamt.
Fünf Kernforderungen
Aus diesen Herausforderungen und Zielen ergeben sich meine fünf Kernforderungen:
1. die deutliche Erweiterung der Take-Home-Regelung,
2. die Erweiterung des Settings auf das Pflegepersonal.
3. die Erhöhung der Höchstverschreibungsmengen,
4. die Verbesserung der Substitution im Strafvollzug, und
5. die Abschichtung der strafrechtlichen Regelungen in das Berufsrecht.
Ein ganz elementarer Punkt ist die deutliche Erweiterung der Take-Home-Regelung. Dieser Punkt wird auch in dem Handlungsleitfaden schwerpunktmäßig aufgegriffen.
Die Take-Home-Regelung nach § 5 Absatz 8 Betäubungsmittelverordnung (BtMVV) soll deutlich modifiziert werden, um so die Versorgung, gerade in ländlichen Regionen, über eine Entlastung der Patienten wie auch der behandelnden Ärzte aufrechtzuerhalten und sicherzustellen. Der bessere Zugang und die Möglichkeit für „stabilisierte“ Patienten, das Substitut bei einem Arzt- oder Apothekenbesuch für mehrere Tage zu erhalten, ist ein elementarer Schritt hin zu einem eigenständigen Leben. Nur so können wir ein geregeltes Arbeits- und Sozialleben unterstützen.
Hier freut es mich, dass wir mit der Position der maßgeblichen Verbände und bewährten Experten auf diesem Gebiet (u.a. Prof. Dr. Markus Backmund von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS); Prof. Dr. Anil Batra von der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. (DG-Sucht); Dr. Thomas M. Helms von der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke (DScK); Prof. Dr. Heino Stöver von akzept e.V.; Dirk Schäffer von der Deutschen Aidshilfe; Dr. Christoph von Ascheraden) auf einer Linie sind und so gemeinsam an einem Strang ziehen können.
Der direkte Austausch und die Rückkopplung mit der Praxis sind und bleiben für mich ein unerlässlicher Bestandteil meiner politischen Arbeit. Denn am Ende des Tages sind es jene, die tagtäglich professionell und ehrenamtlich in der Suchttherapie arbeiten, die die politisch gesetzten Vorschriften umsetzen müssen und auf ihre Alltagstauglichkeit hin überprüfen.
Die zweite Kernforderung ist die Erweiterung des Settings und des Personenkreises, die ein Substitutionsmittel überlassen bzw. verabreichen dürfen. Denn nur, wenn wir hier eine Öffnung des Personenkreises vornehmen, können wir die Versorgung verbessern und die Zugangsschwellen absenken – auch gerade in den ländlichen Regionen. So fordern wir eine Erweiterung auf die Berufsgruppen des Pflegepersonals und des Settings um stationäre Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation, Gesundheitsämter, Alten- und Pflegeheime und Hospize. Darüber hinaus soll auch eine Flexibilisierung des Überlassens eines Substituts während eines Hausbesuchs diese Forderungen abrunden.
Der dritte wichtige Punkt ist die Erhöhung der Höchstverschreibungsmengen nach § 2 Absatz 1 BtMVV. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wurde hier mit der, erst in diesem Monat im Kabinett beschlossenen, Dreißigsten Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften getan. Für Levomethadon wurde die Menge auf 1.800 mg hochgesetzt und für Methadon auf 3.600 mg. Hier werde ich mich für eine weitere Erhöhung auf 2.000 mg bzw. 4.000 mg einsetzen.
Die vierte Forderung hat sich gerade durch den intensiven Kontakt mit der Praxis immer mehr bei mir verstärkt: Wir müssen auch im Strafvollzug eine bedarfsgerechte und stabilisierende Substitutionsbehandlung ermöglichen. Leider sind viele der opiatabhängigen Patienten zunächst in einer Art Teufelskreis, der nicht selten mit Rückschlägen und Gefängnisaufenthalten durchwachsen ist. Doch gerade dann dürfen wir unsere Verantwortung nicht abgeben, sondern müssen noch gezielter und zielgerichteter die Therapie unterstützen und weiterführen. Hier brauchen wir wirksame Konzepte, die auf diese Situation angepasst sind und bei denen auch weiterhin der Patient und nicht nur der straffällig Gewordene im Mittelpunkt steht.
Doch neben der verbesserten Versorgung der Patienten dürfen wir diejenigen nicht vergessen, die die Substitutionstherapie maßgeblich mittragen: unsere Ärzte. Sie sind die unverzichtbaren Säulen der Therapie. Hieraus ergibt sich meine fünfte Kernforderung. Wir müssen uns an das Haupthindernis wagen, das im Moment viele Ärzte von einer Tätigkeit als Substitutionsarzt abhält: die strafbewehrten Vorschriften nach § 16 BtMVV.
Ich möchte mich hier, auch innerhalb der Fraktion, weiter für eine Abschichtung der strafrechtlichen Bestimmungen in das ärztliche Berufsrecht stark machen. Außerhalb des Betäubungsmittelrechts gibt es – mit Ausnahme vereinzelter Bestimmungen des Transplantationsrechts – keinen Bereich, in dem ärztliches Handeln per se strafrechtlichen Bewertungen und Sanktionierungen unterworfen ist.
Keine „Schmuddelmedizin“
Wir dürfen unsere Ärzte nicht abschrecken, sondern müssen sie vielmehr für die Substitutionstherapie gewinnen. Dafür werde ich mich einsetzen.
Dass jedoch noch ein langer Weg vor uns liegt, zeigt auch die Tatsache, dass mir leider immer noch viele Mediziner aus diesem Bereich erzählen, dass die Substitutionstherapie oftmals auch heute noch als „Schmuddelmedizin“ abgetan wird. Daran müssen wir arbeiten, denn, wie anfangs geschrieben, ist und bleibt die Substitution für mich eine unerlässliche und wichtige Säule unserer Drogen- und Suchtpolitik.
Eine Säule, die so vielen opiatabhängigen Patienten ein neues und stabiles Leben ermöglicht, dass ohne die helfenden Mediziner so nicht möglich wäre. Es gilt jeden Mediziner, der an dieser Therapie beteiligt ist, zu unterstützen und Nachwuchskräfte für diese verantwortungsvolle Aufgabe zu begeistern.
Damit Deutschlands Drogenpolitik auch weiterhin international einen so guten Ruf genießt, gilt es, nicht stehenzubleiben. Gemeinsam mit der Praxis können wir die genannten Ziele verwirklichen und die vor uns liegenden Herausforderungen angehen.

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